1400 Teilnehmer bei der Demonstration „Attendorn gegen Faschismus“ am 3. März:
Götzendämmerung
„Es ist eine besondere Abenddämmerung, welche Deutschland am 27. Februar 1933 in Zwielicht hüllt.
Mit den letzten Strahlen des Tageslichts sinken so viele Dinge in eine Nacht, deren Dauer noch niemand erahnen kann.
Ein letztes Mal noch fällt das Licht auf die Umrisse des Reichstages und mahnt einmal mehr der Werte, die nun für lange Zeit verloren gehen werden: Einigkeit und Recht und Freiheit.
In der Nacht zum 28. Februar entzünden die Nationalsozialisten den Berliner Reichstag.
Am 3. März 1933, also vor genau 91 Jahren, wird der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann verhaftet und später ermordet. Am 24. März 1933 folgt das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten. Dunkelheit legt sich über das Land.
Wo stehen wir heute? Wie oft erinnern wir uns an die Dinge, die bereits geschehen sind? Sind wir in der Lage, unser eigenes Schicksal zu begreifen?
Sind wir ehrlich genug?
Und wissen wir es nicht schon lange viel besser?
Sehen wir, was in der nächsten Abenddämmerung lauert?
Ein neuer Kult, ein neues Kalb, ein neuer Götze steht dort am Horizont.
Gestern war er noch freundlich und getarnt, ein Gast auf deinem Geburtstag –
Heute sind seine Umrisse schärfer geworden, er war im Fernsehen und in der Zeitung, er drückt sich deutlich aus und fühlt sich sicher unter uns.
Er speist uns mit Hass und Angst. Er verführt uns, einander zu misstrauen, er schürt die Wut auf die Dinge, die Angst vor dem vermeintlich Anderen, das immer schon da war, die Angst vor der Entwicklung in eine gemeinsame, solidarische Zukunft.
Er füttert uns mit Illusionen, dass es uns besser ginge, wenn wir weniger teilen und unser Mitgefühl am eigenen Gartenzaun stoppen.
Er erklärt, dass es sich lohne, im Alten zu stagnieren, unser Gestern nostalgisch zu verklären und über die Vergangenheit die lauschige Decke der Verdrängung zu legen.
Hat es diese warme Decke der Vergangenheit jemals gegeben?
Was war wirklich besser am Gestern, dass wir bereit sind, den Morgen – unser Morgen – zu zerstören? Was sollen wir konservieren, wenn dort nichts ist, das uns wärmen kann und das uns Liebe gibt, wenn dort nichts ist, was uns alle am Leben hält?
Wir stehen erneut an einem Wendepunkt der Gezeiten.
Geschichte wiederholt sich nicht, und Geschichte wiederholt sich doch. Ergeben wir uns dem Schicksal eines Sisyphos?
Müssen wir den Stein abermals schleppen? Das Kreuz ein weiteres Mal tragen? Haben wir aus den Dingen gelernt? Werden wir uns gegen die Dunkelheit stellen?
Ich schaue nach oben und sehe die Sonne, wir alle schauen nach oben und sehen die Sonne. Bedingungslos scheint sie für alle, und ihr Licht ist warm und tröstlich, so anders als das Licht von Fackeln auf zerbrochenem Glas. Denk ich an Deutschland in der Abenddämmerung, was sehe ich dann? Werden wir vor dem goldenen Kalb niederknien? Werden wir fressen, was die Demagogen uns in die Schalen werfen? Ist es wieder Götzendämmerung?“
(Text: A. Klein, L. Jakobs)